Als Irrtum auf Zeit wird die über Jahrtausende nie in Frage gestellte, historisch gewachsene Stadt folge Corona / Coronomics und dank des Zusammentreffens von Mobilisierung von digitaler und oft prekärer (Zeit-)Arbeit mit Smart Cities als ökonomische Sackgasse für Familien nun um so schneller enttarnt. Die von uns zum Befremden der Experten 2018 vorausgesagte Wende der demografischen Bewegung kommt und die Großstadtflüchter wollen durch bedarfsgerechte Lebensraumkonzepte abgeholt werden.

„Die Lausitz“ ist in den letzten Jahren zur Projektionsfläche für Antwortversuche auf eine Frage geworden, die sich fast jeder stellt: Was bedeutet es, gut zu leben? Im diesem Buch geht es um die Lebbarkeit von Utopien und um die Chancen, Hürden und Erfahrungen bei ihrer Umsetzung im Lebensalltag abseits der Großstädte mit ihren Versprechungen. Der dreiteilige Aufbau des Buches beginnt mit „Die Träume“. Wie ist die LiLaLausitz zu diesem Land der Träume geworden? Und wer träumt da wie?

Zunächst erst einmal träumt da die große Politik und die kleine Politik. Es lohnt sich, deren Visionen und Umsetzungsstrategien getrennt zu betrachten. Die stark durch Massenmedien, PR-Agenturen … auch Lobbyismus … bestimmte Politik der großen Bühnen in den Hauptstädten folgt deutlich anderen Spielregeln als die Regionalpolitik. Deren Vertreter werden insbesondere im ländlichen Raum noch vom Wähler auf der Dorfstraße zur Rede gestellt, wenn politische Glaubwürdigkeit in Frage steht.

Bemerkenswert ist auch, welche Träume Wissenschaftler in den letzten Jahren – vor und nach der Diskussion um den Kohleausstieg und Verteilung der Ressourcen für Strukturanpassung – mit der Projektionsfläche Lausitz assoziieren.

Schließlich schauen wir uns in dem Buch auch jene Träume an, die schon in der konkreten Umsetzung sind und dabei nicht immer auf Willkommenskultur sondern auf Vorbehalt, direkte Ablehnung, informelle Sabotage treffen. Dabei unterscheiden wir insbesondere drei Akteursgruppen.

Wir beleuchten zum Einen die Vorstellungswelten, Sachzwänge und Gestaltungsspielräume der Sachbearbeiter, die den Ministerien, Kommunalverwaltungen und damit assoziierten Behörden sowie Dienstleistungseinrichtungen mit der Entwicklung und Umsetzung von Szenarien für Transormationsgestaltung betraut sind.

Des Weiteren stellen wir Wünsche, Forderungen und Initiativen von Unternehmern der Region dar. Was braucht der Rubel, damit er rechtzeitig vom Einen zum Anderen rollt?

Die dritte Gruppe der Träumer ist die, zu der wir selbst gehören: Projektemacher, die als Verein, im Netzwerk oder als private Initaitive mit den Verheißungen und Herausforderungen von Projektmanagement, Kooperationsmanagement, oft auch mit informellen sowie historisch gewachsenen und teils Innovations-aversen bürokratischen Verstrickungen sowie Rechtsrahmen zu kämpfen haben.

Bei dieser letzten Gruppe der Projektemacher gibt es die, die schon da waren und sich mitunter Verstärkung bei ihren Vorhaben wünschen. Zunehmend gibt es Großstadtflüchter, die bei ihrem, oft von Scheu begleitetem Ankommen auf gute Gesellschaft in Form Gleichgesinnter hoffen. Es gibt aber auch die Landflüchter, die im Groll ihr Zuhause verlassen haben und – aus oft interessanten Gründen – keine „Landeier“ mehr sein wollen.

Schließlich gibt es die Rückkehrer, die aus meist beruflichen oder amorösen Beweggründen der Lausitz den Rücken gekehrt haben. In der Ferne haben sie klarer gesehen, was „Heimat“ bedeutet.

Obendrauf zu dieser literarisch oft besungenen Erleuchtung stellte sich extra zur Rückbesinnung auf das plötzlich wertgeschätzte Kultursubstrat für Eigensinn auch heraus, dass sie ihre individuellen und familiären Lebensträume doch leichter bzw. schöner „daheeme“ verwirklichen können als bspw. in der Anonymität austauschbarer Großstädte.

Zu dieser Gruppe von Träumern gehören wir selbst. Bevor wir mit unserem (für andere) sehr exotischen Projekt im Niemandsland gelandet sind, waren auch wir aus der Lausitz geflüchtet, haben lange in Schwarmstädten deren Licht- und Schattenseiten erkundet  – um infolge eines „unmoralischen Angebotes“ zur eigenen Überraschung dann doch zu Rückkehrern zu werden.

Wenn angeblich die Zukunft das Land ist, das noch niemandem gehört – wo liegt dann darin „die Lausitz“?

Bevor wir die Visionen der anderen (für die Realisierung unseres Projektes relevanten) Akteursgruppen anhand unseres eigenen Projektes wiederspiegeln, gehen wir aber zunächst auf das Koordinatensystem ein, dass sich aus dem ergibt, was Wissenschaftler – unabhängig von ihren privaten Träumen und Befürchtungen – an Daten und Entwicklungsperspektiven zum Thema Lausitz zu vermelden haben. Denn der Kontext, vor dem manche der Utopien sich als zukunftsfähig, unrealistisch, in jedem Fall aber nachvollziehbar darstellen, bildet sich ja auch in empirischen Daten, Arbeitstheorien zu deren Interpretation und Prototypen für experimentelle Lösungen ab. Mit welchen Trends ist zu rechnen? Was können wir für die Zukunftschance der eigenen Vision vom „guten Leben“ aus der Geschichte lernen? Wie haben andere Regionen den Wandel gemeistert? Welche ihrer Erfolgsrezepte passen für die Transformation in der Lausitz und welche nicht? Was kann Wissenschaft außerhalb ihrer „Elfenbeintürme“ überhaupt beitragen, damit Transformationsgestaltung in der Praxis gelingt?

Im zweites Teil des Buches, „Das Wir“, kommen wir damit zu unseren eigenen Träumen. Wir schildern die Entdeckungsreise, die von der Verzückung über die eigene Vision vom guten Leben nach und nach die anderen in den Scheinwerferkegel der Aufmerksamkeit bekommt. Für die Verwirklichung der eigenen Vision sind diese anderen aber mehr als die soziale Ökologie, die wir auf neudeutsch im Projektmanagement als Stakeholder bezeichnen: Wenn man sich denn in den Diskurs beginnt, so lässt sich einerseits entdecken, dass diese anderen auch attraktive Träume haben – dass es aber auch Antipathien, Konflikte, Allianzen und Missverständnisse gibt.

Ausgehend von unserem eigenen Projekt; dem Prototypen für eine Wissenschaftsorganisation neuen Typs stellen wir drei Träume und deren vorläufiges „Schicksal“ / Geschick vor: „Lausitz-Transformation-Campus“ war die Vision von einer Dreiländeruni im Dreiländereck. Substrat für die Verwirklichung ist das ehemalige Militärgelände der „OHS Ernst Thälmann“ der Landstreitkräfte der NVA im Zittauer Dreiländereck mit einst über 50 Gebäuden.

Die Vision „Land-Stadt-Lausitz“ ist assoziiert mit einem Aufruf in der Sächsischen Zeitung, den Clemens Renker, Prof. an der Hochschule Zittau/Görlitz anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand der nächsten Generation als Inspiration hinterlassen hat. Diese Inspiration ist stellvertretend für weitere Ansätze, die das Verhältnis von Stadt und Land neu denken … und zu gestalten versuchen. Groß angelegte Restrukturierungsprojekte wie bspw. Cybersyn in Chile, die Perestroika in der UdSSR und der Great Reset anlässlich der Redefinition des Verhältnisses von Machtstrukturen in Ost und West legen uns nahe, dass Transformationsgestaltung auch eine „handwerkliche“ bzw. methodische Dimension hat. Wie weit ist das Know-how im Komplexitätsmanagement gediehen hinsichtlich der systematischen Gestaltung systemischer Zusammenhänge? Was wissen wir über den Umgang mit Nichtwissen?

Beim Kampf um das echt richtige Paradies, kommt es immer wieder vor, dass allzu Gläubige auf der Strecke bleiben. Wieviel Frieden kann „die Lausitz“?

Der dritte Traum, von dessen Genesis wir berichten, trägt der Einsicht Rechnung, dass es jenseits der traditionellen Verlagsprodukte „Gefäße“ für wachsendes Know-how braucht, die mitwachsen, wenn in Communities of Practice kontinuierlich Lösungen koproduziert werden – aufgrund dessen aber auch neuer Bedarf an Problemlösungen entsteht. DieseWissensbörse für Transformationsprozessmoderation“ ist eine Innovation, die in der Lausitz bereits vor fast einem Jahrzehnt entwickelt wurde. Welche Einflussfaktoren haben die Umsetzung gebremst, was und wer fördert? Ist es in der Lausitz womöglich nachteilig zu sehr voraus zu sein? Wie provinziell sind wir und wie sehr wollen wir es trotz der Allgegenwart digitaler Wissensgesellschaft bleiben?

Das Lernen aus Rückschlägen, das Überwinden von Frustration, das Neubeginnen abgebrochener Dialoge sind Voraussetzung für den Update unserer Träume. Erleichtert wird dies durch ein methodenorientiertes Verständnis individueller und sozialer Transformationsprozesse. Im dritten Teil des Buches, „Die Praxis“ geht es daher um das, was wir und andere Projektemacher im Kontext des Strukturwandels Lausitz bei ihren Umsetzungsversuchen an Lessons Learned gewonnen haben. Wir beginnen mit einem „Katalog der Grausamkeiten für Regionalentwicklung“. Darin versammeln wir, was uns begegnet ist an Pleiten, Pech und Pannen infolge Glaubenssehnsucht gegenüber schwarmdummen Managementmythen und fatalen Autoritäten, Kleinstadtautismus und fachlicher Überforderung. Wer diese stark Humor-bedürftige Aufzählung … die nur die Spitze eines Eisbergs an Konzeptlosigkeit skizziert … positiv zu lesen vermag, der kann sich durch das Lernen aus den Kurzschlüssen anderer Lebenszeit sparen.

Speziell im Hinblick auf das organisationale Lernen von Behörden, Projektgruppen, Netzwerken möchten wir auf die drei Phänomene eingehen, die wir und viele der von uns Befragten im Kontext von Regionalentwicklung für relevant halten: Als „Soziale Latenz“ bezeichnen wir den unterschied zwischen der Zeitspanne, die ein einzelner Mitarbeiter oder Entscheider einer Organisation benötigt um einsehen in Reformationsbedürftigkeit und deren Strategien zu entwickeln gegenüber der Zeitspanne, die eine Organisation als ganzes braucht um adäquat auf eine Veränderung ihrer Existenzvoraussetzungen zu reagieren. Der Begriff der „Antifragilität“ geht nicht auf uns sondern auf Nassim Taleb zurück. Wie statisch wollen bzw. sollte wir das verankern, was wir uns als Umsetzungsszenarien für das gute Leben in der Lausitz vorgenommen haben … und hin wie her hinsichtlich Sinnhaftigkeit der Vision bestreiten? Schließlich gehen wir angesichts der zunehmenden Polarisierung und sozialen Fragmentierung auf die Notwendigkeit Politischer Ökumene ein. Anhand des „Pluralitätsdilemmas“ verdeutlichen wir, wie die kühnsten Träume absehbar scheitern müssen, soweit es nicht gelingt, die Dialogfähigkeit zu regenerieren

Auch und gerade auf den Bühnen des Lebens und der Regionalentwicklung gilt: Keiner ändert sich allein und auf Dauer kommt keiner an den Vorbehalten, Innovationsphobien, Pfadabhängigkeiten der anderen Träumer vorbei. 

Abschließend widmen wir uns im Hinblick auf die Gestaltungsbedarfe von Strukturwandel dem Reformationspotential von Wissenschaft. Inwieweit lassen sich Menschen und Menschenmassen überhaupt bestimmen durch rationale Einsichten aus dem „Tempeln der Weisheit“ (?) wenn sie doch noch ganz anderen, emotional aufgeladenen Motiven – Karrierewünsche, Budget, Status in informellen Netzwerke – gerecht zu werden suchen? Wie in einem Spiegel zeigt die Diskussion um die Zukunft der Lausitz, was wir über uns selbst und unseren Ort in der Welt schon verstanden haben oder noch lernen müssen. Wer sich in diesem Spiegel mit seinen Antwortversuchen auf die Frage nach dem guten Leben wieder findet, dem mag es jenseits der Lausitzer Zukunftsvisionen bei eigenen Projekten leichter fallen, intelligenter zu scheitern bzw. auf eine ästhetischere Weise erfolgreich zu sein.