Die „Narrheit des Solutionismus“ (Morozov) offenbart in der Dekade 2020-30 seine Folgen im Feldversuch.
Im Buch geht es um Bürgerunis als „dritte Orte“ für bürgerschaftliches Engagement sowie Katalysator für Next Science und eine neue europäische Renaissance. Von Wissenschaftsorganisation faszinierte LeserInnen finden hier einerseits den Zwischenbericht zum Prototyping-Projekt für das Organisationsdesign einer Bürgeruni. Weil ein solches Projekt unweigerlich die Transformationsprozesse unserer Wissensgesellschaft widerspiegelt, finden an Wissenschaftspolitik Interessierte hier andererseits aber außer einzigartiger Praxeologie von Action Research an der Schnittstelle von Organisationsdidaktik und Mikropolitik auch Metareflexionen zur Funktionalität von Wissenschaftskultur für die Gesellschaft „post Corona“ aus der Perspektive des von sozialem Vergessen bedrohten Kritischen Rationalismus.
Die Texte sind strukturiert anhand von vier Formen der Transformation unseres Wissenschaftssystems: einer theoretisch geplanten aus dem Wissenschaftssystem selbst heraus, einer zweiten, die in die Katastrophe sozialökologischer Dekadenz führt, einer utopischen Transformation, die sich als Chance immer wieder aus der in Zyklen verlaufenden, kulturellen Evolution unseres Gesellschaftsbetriebssystems ergibt und einer vierten, die wir am besten selber praktisch gestalten.
Wir beginnen im Teil 1 mit einer kurzen Bestandsaufnahme zur Theorie und Praxis Reform-orientierter Kritik an Wissenschaftsorganisation aus dem Funktionssystem Wissenschaft selbst heraus. Wir gehen dazu vorab auf die Geschichte der Universität in Europa, dann auf die Kritiken an der herkömmlichen Wissenschaftskultur im deutsch-sprachigen Raum und schließlich auf notwendige Reformen und Entwicklungsanforderung aufgrund verändertem Wissenschaftsbedarf in der Wirtschaft und den anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen ein. Welche Reformansätze gab es seit der Bologna-Reform in der Theorie und was ist aus den theoretischen Überlegungen bspw. von Masschelein, Finke, Schneidewind geworden?
Im Teil 2 stellen wir dar, wie das Funktionssystem Wissenschaft durch die gesamtgesellschaftliche Transformation gleichsam mitgeschleift wird, infolge dessen es die notwendigen Reformen leider nicht „just-in-time“ realisiert, die Weichenstellung der kulturellen Evolution den anderen Funktionssystemen überlassen und seinen Eigensinn im Spiel der Checks and Balances nach der BOLOGNA-Reform nahezu aufgegeben hat. Wir stellen dar, wo wir hin kommen, wenn die sich seit Jahren abzeichnende Rückverwandlung von Wissenschaft in eine Art Klerus 2.0 ungehemmt grassiert, das Berufsethos des Kritischen Rationalismus weiter vergessen wird und verkürzte Auffassungen von Wissenschaft sowie das trivialisierte Selbstverständnis der anthropologischen Voraussetzungen für Menschsein zur Bildung neuer Religionen wie bspw. Solutionismus führen.
Im Teil 3 stellen wir der fatalistischen Bestandsaufnahme drei futurologische Perspektiven gegenüber: Anhand einer wissenschaftshistorischen Differenzierung zwischen Transformativer Wissenschaft / Transformationswissenschaft / Reformativer Wissenschaft entwickeln wir, wie Wissenschaft als Reformationsprozess wahrgenommen, praxeologisch operationalisiert und im Rahmen des Paradigmas der Just-in-Time-Innovaton mit den Mitteln der Digitalisierung anhand der Horizonte aus Strukturanthropologie und Tiefenökologie kontinuierlich optimiert wird.
Zitat: „The Education System doesn`t work.“ (Elon Musk) und: „If you have not a system, you are part of the system of someone else.“ (Terence Mc Kenna)
In der eher technologisch inspirierten Utopie von „Science as a Service“ zeichnen wir vor, wie es wäre, wenn Bürger Wissenschaft genau so selbstverständlich als Dienstleistung nutzen könnten wie bspw. Projektmanagementsysteme oder durch Apps virtuell flankiertes Costumer-Relationship-Management. Aus Heinrich Rombachs strukturanthropologischer Vision vom „menschlichen Menschen“ und der Tiefenökologie nach Kirchhoff leiten wir zur Gesellschaft jenseits der Ismen hin – dem Paradigma, das umzusetzen nach dem Scheitern der transhumanistischen Agenda für unsere Spezies hoffentlich noch die Zeit bleibt.
Wir begründen mit Blick auf die Geschichte der Ideen der Gelehrtenrepublik und Ideen von Buckminster Fuller, weshalb es aussichtsreicher ist, mit Reformen in der Wissenschaftsorganisation anstatt in der Wissenschaftspolitik zu beginnen.
Anhand von Metaphern – wie bspw. der Interdependenz der Populationen von Schneehasen und Luchsen – und im Anschluss an Luhmann und Rombach stellen wir die „Jahreszeiten der Kulturellen Evolution“ dar, in deren zyklischen Verlauf das Funktionssystem Wissenschaft in seinem Eigensinn immer wieder neu ausgerichtet und durch die soziale Binnenlogik der anderen Funktionssystemen „versklavt“ wird. Wir gehen auch kurz auf die Spezifika der traditionellen Sozialisation von Intellektuellen ein. Darüber erschließt sich, wie es zu der auffallend ausgeprägten Unselbstständigkeit von Wissenschaftlern kommt, wenn es gilt, die eigenen Arbeitsbedingungen an veränderte sozialökologische Voraussetzungen anzupassen – geschweige dem Rest der Gesellschaft vorzuleben, wie agile Organisation funktioniert.
Wir schließen diesen Teil mit strategischen und ethischen Fragen der Wissenschaftspolitik; inwieweit können wir angesichts der zeitweiligen Übermacht der Gegenaufklärung warten? Woran können das für Reformation in strategischer Hinsicht wichtige Moment des „Kairos“ erkennen? Inwieweit ist das Gespräch ethisch verantwortungsbewusster Gesellschaftsmitgestalter über Next Science, die nächste Form der Universität und damit über die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft abgerissen / in Katakomben verbannt / nur vom Tittytainment unserer Leitmedien übertönt? Was wäre, wenn wir eine agile WO hätten, wieweit würde die Einlösung dieser Hoffnung überhaupt nützen? Ist absehbar, dass die Mitglieder unserer Kulturgemeinschaft infolge disruptiver Innovationen der Aufklärung aus selbst verschuldeter Aufklärung zugeneigter werden? Gibt es Alternativen für das Religionsrecycling in Form Schaffung neuer, präreligiöser Fetische und Entlastung der Bürger von politischer Selbstverantwortung?
Im Teil 4 stellen wir den Prototyping-Prozess bei der Entwicklung eines Organisationsdesigns für eine Bürgeruni im ländlichen Raum dar. Trotz des pragmatisches Ansatzes geht dieses Projekt radikal über all jene traditionell akademischen anstatt transdisziplinären Konzepte hinaus, die den Bürger nur mehr als eine Art wissenschaftlichen Hilfsarbeiter zweiter Klasse zu sehen vermögen und das reformatorische Potential von für Citizen Science für die Neuerfindung von Wissenschaft – als sich fortwährend in Frage stellenden Prozess der Selbstaktualisierung – verkennen.
Wird unsere Wissenschaftskultur je erwachsen? „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will.“ (Barbara Sher)